Wall of Fame

Portraits

ERDMANN EDUARD
5. März 1896– 21. Juni 1958
Pianist und Komponist

Erdmund Eduard

Eduard Erdmann war von 1925 bis 1935 Professor für Klavier an der Hochschule für Musik Köln. An der Kölner Hochschule lehrten später folgende seiner Schüler: Hansotto Schmidt-Neuhaus, Astrid Schmidt-Neuhaus, Wilhelm Hecker, Karl Erdle, Hans Eppink, Alfons und Aloys Kontarsky.

Erdmann war eine der großen, verkannten Künstlerpersönlichkeiten unseres Jahrhunderts, Komponist, Pianist, leidenschaftlicher Büchersammler, und Schwiegervater von Emil Nolde. H.G. Wells schätzte ihn höher ein als Horowitz, und tatsächlich beweisen frühe Aufnahmen sein beachtliches Virtuosentalent. Später hat er seine Technik vernachlässigt zugunsten des musikalischen Ausdrucks, vielleicht hatte er auch einfach keine Lust mehr, täglich Klavier zu üben. Er lag im Sommer lieber in seinem Garten in der Hängematte und las „Bücherchen“.

Er kam aus Riga, jener Stadt, deren kulturelle Vielfalt von zwei mörderischen Ideologien für immer zu Tode getrampelt wurde. Er sprach einen herrlichen baltischen Dialekt, den wir Studenten „mit Bejeeisterung” imitierten.

1935 gab er aus Protest gegen die öffentliche Misshandlung zweier Kollegen durch SA-Männer seine Meisterklasse in Köln auf und ging in die innere Emigration. Nach dem Kriege hatte er nicht mehr die Kraft und wohl auch nicht mehr den Mut zu einem Neuanfang.

Ich lernte von ihm peinlich genaues Notenlesen und erinnere mich noch, dass er mich, als ich ihn auf einen offensichtlichen Schreibfehler Schuberts aufmerksam machte, anfauchte: „Ham se ihn jefragt?“. Er hatte eine spezielle Technik entwickelt, durch eine dem Phrasierungsbogen nachempfundene Handbewegung eine höchst differenzierte Anschlagskultur zu erreichen, wobei er Voller Bescheidenheit zugab, dass die Idee dazu nicht von ihm, sondern von keinem Geringeren als Artur Schnabel Stammte. Er spielte uns auf furchterregenden Nachkriegsklavieren so schön seine geliebten Klassiker vor, dass wir uns fragten: Wie macht er das nur? Die heutigen jungen Pianisten, die am liebsten so schnell und so laut wie möglich spielen, haben von diesem Anschlagszauber keine Ahnung mehr.

Anekdoten über ihn sind Legion, leider hat sie noch niemand gesammelt und aufgeschrieben. In seiner Kölner Zeit pflegte er von seiner Wohnung zu seinen Konzerten im Gürzenich zu radeln, im umgeschnallten Rucksack den Frack verborgen. Einmal hatte er ihn vergessen. Und ein Kontrabassist, der annähernd seine mächtige Statur besaß, musste den seinigen hergeben. Und während Erdmann im Leihfrack mit Brillanz sein Beethovenkonzert absolvierte, saß derweil der arme Musicus in der Künstlergarderobe, im Dessou.

Viele bedeutende Musiker seiner Zeit hat er persönlich gekannt. Mit Arnold Schönberg debattierte er über dessen rigorose Pedaltechnik, die er ablehnte. Mit Alban Berg hat er korrespondiert. Und Béla Bartók war bei ihm zu Gast. Der Besuch endete mit einer Katastrophe. Als das Dessert gereicht wurde, starrte Erdmann lüstern auf die Puddingreste in der Schüssel, und mit den erlaubnisfordernden Worten: „Herrr Bartók, Sie jestatten doch“ leckte er zum Entsetzen des empfindsamen, großen Ungarn die Schale bis auf den Grund leer.

Mein letzter Unterricht fand statt an einem glutheißen Sommertag in Hamburg unter dem Dach einer alten Villa, die einen Teil der Hochschule beherbergte. Mein Bruder und ich hatten ihm, der am Anfang unserer Beziehung bemängelt hatte „die Brüder spielen zu westfälisch“, (was immer er damit gemeint haben mag), zum Abschied eine Originalflasche Steinhäger mitgebracht, ohne der Folgen zu gedenken.

Erdmann, der sonst so kritische, fand an diesem Tag unser Spiel, das immer wieder durch liebevoll aufgenötigte Trinkpausen unterbrochen wurde, „janz jrrossartig“. Und als wir schließlich, vom warmen Wacholdergeist beflügelt, die Stiege hinunterwankten, stand er oben auf dem Treppenabsatz. Glücklich lächelnd, triumphierend die leere Flasche schwenkend, rief er uns nach: „Auf Wiiederrsähen, die Herrren, auf Wiiederrsähen“. Ich habe meinen großen Lehrer nie wiedergesehen. 

Alfons Kontarsky