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Portraits

GÜNTER WAND
7. Januar 1912 – 14. Februar 2002
Dirigent und Komponist

Günter Wand

Eine »sehr rheinische Mischung aus Mönch und Dionysos« nannte sich Bernd Alois Zimmermann, geboren am 20. März 1918 in Bliesheim bei Köln. Mit Kompositionen von konzentrierter, verdichteter Intimität sowie Bühnenwerken von überwältigender Komplexität und dramaturgischer Lust bewegt sich auch das Werk des Komponisten zwischen diesen beiden Polen. Ausgangspunkt seines Schaffens war für Zimmermann dabei stets die vieldimensionale und heterogene »musikalischen Wirklichkeit«, die er mit seiner als »pluralistisch« bezeichneter Kompositionsmethode zu fassen und durch Integration unterschiedlichster Stile, Gattungen und Kunstformen auszudrücken strebte. Angesichts dieser Gleichzeitig des Ungleichzeitigen und des widerspruchsvollen Nebeneinanders von Musik ist die Kategorie der Zeit das umfassende und alles bestimmende Thema in Bernd Alois Zimmermanns Leben und Werk.

1939 beginnt er ein Schulmusikstudium an der Staatlichen Hochschule für Musik in Köln, das er aufgrund des Krieges, den er als Pferdepfleger im Osten wie im Westen erlebt, erst 1947 abschließt. In die Kriegszeit fallen wohl auch seine ersten kompositorischen Studien, die er an der Hochschule in Köln bei Heinrich Lemacher und Phillip Jarnach vertieft. Von 1948 an erlernt er im Rahmen der neugegründeten Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik bei Wolfgang Fortner und René Leibowitz die Zwölftontechnik und ebendort werden erste Werke aufgeführt (Konzert für Orchester 1948, Sonate für Violine solo 1951). Zimmermanns Beziehung zu den Komponisten des Darmstädter Kreises war jedoch schon bald von kritischer Distanz geprägt. Zum einen fühlte sich Zimmermann durch den Kriegseinsatz benachteiligt und sah sich als »Ältesten der jungen Generation« zwischen allen Stühlen. Zum anderen wehrte er sich stets gegen dogmatische Schulmeinungen und forderte ein Komponieren »aus der Mitte des Ausdrucksmäßigen« (Material und Geist Aufsatz 1951). Zum Festhalten an der Kategorie des Ausdrucks mag auch sein Broterwerb als Komponist von Hörspielmusik für den WDR beigetragen haben, die sein dramaturgisches Gespür hörbar prägte. Die Arbeit für den Rundfunk wirkte auch in seine Lehrtätigkeit hinein, die er ab 1957 an der Hochschule für Musik in Köln ausübte, wo er bis zu seinem Lebensende neben einer Kompositionsklasse auch ein Seminar für »Hörspiel-, Film- und Bühnenmusik« hielt. Unter seinen Schülern finden sich namhafte Komponisten wie Oscar Gottlieb Blarr, Johannes G. Fritsch, York Höller, Luca Lombardi, Dimitri Terzakis und andere. Mit Interpreten und Unterstützern wie Günter Wand, Tiny Wirtz, Siegfried Palm, den Brüdern Kontarsky oder Hans Zender fanden seine Werke mehr und mehr den Weg in die Öffentlichkeit. So nutzte er einen Studienaufenthalt in der Villa Massimo in Rom 1957 für die wagemutige Komposition der Oper Die Soldaten. Das Bühnenwerk kam jedoch erst 1965 in einer Inszenierung von Heinz Neugebauer in Köln auf die Bühne, nachdem es noch 1960 als »unaufführbar« zurückgewiesen worden war. So blieb 1960 auch die Ehrung mit dem großen Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen nicht ungetrübt, da Karlheinz Stockhausen es ablehnte den Preis zu gleichen Teilen zu erhalten und damit die Spannungen zwischen den beiden Kölner Avantgardisten zu einem Höhepunkt brachte. Die sehr erfolgreichen Urraufführung seiner Oper fiel somit in eine Zeit, die von zunehmenden gesundheitlichen Schwierigkeiten geprägt war, und nachdem er 1969 nach einem Nervenzusammenbruch in eine Klinik eingewiesen worden war, nahm sich Bernd Alois Zimmermann am 10. August 1970 das Leben.

Zimmermanns kompositorische Sprache ist, trotz seiner zunehmenden Entfremdung vom Darmstädter Kreis, tief geprägt von den Entwicklungen der Darmstädter Ferienkurse und der Avantgarde der 50er und 60er Jahre. In den Perspektiven für zwei Klaviere 1955/56 adaptierte er erstmals umfassend die serielle Technik, die er gegen Ende des Jahrzehnts zu seiner »pluralistischen Kompositionsmethode« weiterentwickelt. Untrennbar damit verbunden ist sein Begriff der »musikalischen Wirklichkeit«, die für Zimmermann insbesondere dadurch charakterisiert ist, »daß wir gleichzeitig in verschiedenen Zeit- und Erlebnisschichten existieren, von denen die meisten weder voneinander ableitbar erscheinen, noch miteinander zu verbinden sind.« (Vom Handwerk des Komponisten Aufsatz 1968) Einerseits reagiert Zimmermann darauf mit einer Zitat- und Collagetechnik verschiedener Stile von der niederländischen Vokalpolyphonie bis zum Jazz (Présence 1961) sowie der Verbindung aller Kunstformen im »totalen Theater« (Die Soldaten 1960/65, Requiem für einen jungen Dichter 1967, Über die Zukunft der Oper Aufsatz 1968). Zum anderen aber ist die pluralistische Kompositionsmethode eingebettet in eine spezifische Auffassung der Zeit, die Zimmermann als »umfassende Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft« (Augustinus) versteht, in der »alle Zeitalter gegenwärtig sind« (Ezra Pound) und die durch die Musik zum Bewusstsein gebracht werden könne. Diese »Kugelgestalt der Zeit« (Vom Handwerk des Komponisten Aufsatz 1968) liegt allen späteren Kompositionen als philosophische, literarische und nicht zuletzt religiöse Folie zugrunde und schlägt sich in spezifischen kompositorischen Verfahren nieder. So adaptiert er Stockhausens Identifikation von Intervall- und Zeitproportionen (Intervall und Zeit Aufsatz 1957; Tratto 1966) und arbeitet mit unabhängig voneinander sich entfaltenden Zeitschichten, in denen die Vielgestalt der gegenwärtigen Zeit sich in die verschiedenen Ebenen des musikalischen und dramatischen Geschehens ausdrückt (Die Soldaten, Dialoge 1960). Die »kugelgestaltige Zeit« werde so in der mystischen Erfahrung eines Stillstands der Zeit musikalisch erlebbar. Zunehmend haben Zimmermanns Kompositionen dabei eine existenzielle Färbung und der musikalische Zusammenhalt, der die collagenhafte Brüchigkeit der wurzellosen Pole Zimmermanns dionysisch-mönchischem Temperament etwa auch durch werkübergreifende Selbstzitate integrieren kann, bricht 1970 mit »Lebenston d« einer seiner letzten Kompositionen Stille und Umkehr endgültig ab. Nach Zimmermanns Tod kann sein Œvre im Versuch der Zusammenschau der kompositorischen Mittel seiner Zeit und der Integration dieser brüchigen Wirklichkeit zu einem musikalischen Ganzen als entscheidender Beitrag zur Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts gelten und auch heute haben seine Kompositionen nichts von ihrer gedanklichen wie musikalischen Aktualität eingebüßt.

Literatur

  • Zimmermann, Bernd Alois, Intervall und Zeit. Bernd Alois Zimmermann. Aufsätze und Schriften zum Werk. herausgegeben von Christof Bitter, Mainz: Schott’s Söhne, 1974.
  • Tadday, Ulrich [Hrsg.], Bernd Alois Zimmermann. Musik-Konzepte Sonderband, München: edition text + kritik, 2005.
  • Niemöller, Klaus Wolfgang, Wulf Konold [Hrsg.], Zwischen den Generationen. Bericht über das Bernd-Alois-Zimmermann-Symposion Köln 1987, Regensburg: Gustav Bosse, 1989 (= Kölner Beiträge zur Musikforschung Band 155).
  • Ebbeke, Klaus, Zeitschichtung. Gesammelte Aufsätze zum Werk von Bernd Alois Zimmermann, Mainz, u.a.: Schott, 1998.