Wall of Fame

Portraits

HEINRICH BOELL
13. September 1890 – 10. Oktober 1947
Organist

Heinrich Boell

Heinrich Boell leitete seit Gründung der Hochschule für Musik bis 1936 die Abteilung für Evangelische Kirchenmusik. Er wurde 1946 an die Hochschule zurückberufen, wo er bis zu seinem Tod im folgenden Jahr wirkte. 

Am 13.09.1890 in Weißenburg im Elsaß geboren, erhielt Boell seine frühesten musikalischen Prägungen durch die legendären Bach-Aufführungen in Straßburg, bei denen unter Leitung von Ernst Münch, Albert Schweitzer die Orgel spielte. Musikalische Studien betrieb er zunächst in Straßburg bei Münch und Hans Pfitzner, dann in Leipzig bei Karl Straube und dem Pianisten Robert Teichmüller. 1915 trat Boell seine erste Stelle als Kantor und Organist der Evangelischen Gemeinde Aachen an und war somit der erste einer Reihe von Aachener Kirchenmusikern, die später den Weg als Lehrer an die Kölner Musikhochschule gefunden haben (Hans Hulverscheidt, Hans Klotz, Johannes Geffert). 1919 wechselte er nach Solingen, um die Leitung des Städtischen Musikvereins zu übernehmen. 1920 wurde er am damaligen Kölner Konservatorium Lehrer für „Klavier, Orchesterübungen I, Anleitung zum Dirigieren, Chorgesang I“. Mit Gründung der Kölner Musikhochschule 1925 wurde er mit der Leitung der Abteilung für Evangelische Kirchenmusik betraut. Auf seine Initiative ging die Gründung des Madrigalchors der Kölner Musikhochschule zurück, der sich der Pflege Alter Musik widmete, insbesondere der Aufführung von Bach-Kantaten in kleiner Besetzung. Sein Engagement galt aber auch der Neuen Musik. Bei einem Konzert im Rahmen des Festes „Deutsche Kammermusik“ Baden-Baden 1928 spielte er u.a. die Uraufführung des ihm gewidmeten Roman „Zero III“ für Orgel von Philipp Jarnach; Hermann Schroeder widmete ihm 1934 seine „Sechs Orgelchoräle über altdeutsche geistliche Volkslieder“ op. 11.

Unter Boells Schülern haben manche später nicht nur im rheinischen Musikleben wichtige Positionen eingenommen: Hans Geffert, Kantor an der Kreuzkirche in Bonn, Hans Hulverscheidt, Kantor in Aachen und Lehrer an der Kölner Musikhochschule, Clemens Ingenhoven, in Düsseldorf Organist an St. Max und Lehrer am Konservatorium, Helmut Kahlhöfer, Gründer der „Kantorei Barmen-Gemarke“ und Professor an der Folkwang-Hochschule Essen, Herbert Rafflenbeul, Stadtorganistin Solingen, Dieter Weiß, Landeskirchenmusikdirektor in Oldenburg, Götz Wiese, Kantor an der Stadtkirche in Celle, Josef Tönnes, Lehrer am damaligen Konservatorium in Duisburg. (Über ihn wurde der Verfasser dieser Zeilen zum Enkelschüler Heinrich Boells.)

1931 gründete Boell den Kölner Bachverein. Schüler wissen sich zu erinnern, dass er nach 1933 nicht zu den Sympathisanten des neuen Regimes gehörte und deshalb nach einer Auseinandersetzung mit dem „Studentenführer“ seine Position an der Hochschule aufgeben musste. 1936 ging Boell nach Breslau, um Gründungsleiter der Schlesischen „Landesmusikschule“ zu werden, mit der diese traditionsreiche musikalische Region erstmals eine zentrale musikalische Ausbildungsstätte erhalten sollte. (Sein Nachfolger an der Hochschule und beim Bachverein wurde der erst 27-jährige Michael Schneider, der bis 1941 und von 1965 bis 1990 in Köln unterrichtete.) Mit dem Kriegsende wurde 1945 Boells Arbeit in Breslau abgebrochen, und er kehrte nach Köln zurück, um neben der Professur an der Musikhochschule wieder die Leitung des Bachvereins und zudem die Kirchenmusikerstelle an der Lutherkirche in Bonn Poppelsdorf zu übernehmen. Schon am 10. 0ktober 1947 starb er in Bonn.

Boell vertrat den inzwischen selten gewordenen Typus des Kirchenmusikers, der gleichermaßen als virtuoser und liturgischer Organist wie auch als Chor- und Orchesterdirigent ein kirchenmusikalisches Gemeindeamt versieht, im Konzertsaal auf der Orgelbank und auf dem Dirigentenpodium agiert und in beiden Bereichen als Hochschullehrer tätig ist. Die Aufgabe, eine Musikhochschule zu gründen, belegt, dass seine Ausstrahlung nicht auf diese Bereiche beschränkt war: Zeitgenossen wissen zu berichten, dass er u.a. auch gerne und mit Erfolg Klavierlieder seines Lehrers Hans Pfitzner öffentlich begleitete.

Über seine aufführungspraktischen Auffassungen hat sich Heinrich Boell 1940 in einem Beitrag geäußert, der durch eine überaus „moderne“ Position überrascht: „Als wir dann nach dem Weltkrieg zunächst vereinzelt in Leipzig, Köln, und einigen anderen Städten darangingen, Bach in möglichst originalgetreuer Besetzung, mit kleinen aber sehr gut besetzten Chören und Orchestern bei Wahrung des authentischen Verhältnisses zwischen Chor und Orchester, sowie innerhalb des Orchesters zwischen Streichern und Bläsern, und unter Beachtung der authentischen Dynamik aufzuführen, da erlebten wir beglückt Wunder über Wunder. Es zeigte sich, dass es bei dieser Musik nie auf Masse des Klanges ankam, sondern auf höchste Intensität und Klarheit und äußerste dynamische Energie der Linienführung; es ergab sich ferner, dass die Klarheit der Linienführung durch einige wenige gute Spieler unvergleichlich besser, eindringlicher und schöner zu erreichen war als durch eine große Zahl von Spielern und den dadurch bedingten dicken Klang [...] Es zeigte sich, dass hier – natürlich immer sehr gute, mit den Erfordernissen lockeren und äußerst präzisen non – legato Spiels vertraute und lebendig musizierende Musiker vorausgesetzt – nahezu alles sozusagen von selbst klang, da sich alle die vielen Vortragszeichen erübrigten, dass Crescendo und decrescendo, Steigerung und Ballung, Spannung und Entspannung dadurch das bloße An- und Ablaufen miteinander und gegeneinander gehender Linien ganz von selbst und unendlich viel bezwingender sich ergaben, als das jemals bei Anwendung einer der mit so vielen Vortragsbezeichnungen versehenen Ausgaben zu erreichen war.“

Die wenigen noch erreichbaren Zeitzeugen hatten nur in der kurzen Zeit 1946/47 bei Boell Orgelunterricht, der in der Poppelsdorfer Kirche stattfand. Sie berichten von seinem Streben nach durchsichtiger Artikulation beim Bachspiel, vor allem aber auch von einer souveränen, charaktervollen, pädagogisch Zugewandten Persönlichkeit. 

Hermann J. Busch