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Portraits
HERBERT EIMERT
08.04.1897 - 15.12.1972
Komponist
HERBERT EIMERT
08.04.1897 - 15.12.1972
Komponist
Herbert Eimert leitete von 1965 bis 1971 das von ihm begründete Studio für elektronische Musik an der Hochschule für Musik Köln.
Um es direkt voranzustellen: Ich hatte nicht einmal im Traum daran gedacht, jemals mit Herbert Eimert persönlich zusammenzutreffen oder gar zu arbeiten, als ich mich 1961 an der Kölner Musikhochschule im Fach Komposition zur Aufnahmeprüfung anmeldete.
Als zwar musikalisch hoch ambitionierter, sonst jedoch ziemlich normaler Abiturient aus der ostwestfälischen Provinz kannte ich Eimert gewissermaßen als „historische Figur“, als Gründer und Leiter des ersten Studios für elektronische Musik überhaupt, als Autor so mancher mit seiner immer sanften, gelegentlich gar einschmeichelnden Rundfunkstimme vorgetragenen Sendung des Musikalischen Nachtprogramms, und als offenbar überaus einflussreichen Mentor, der die frühe elektronische Musik dieser Zeit gewissermaßen in einer Art „Medienverbund“ zu verbreiten wusste: Er lud junge Komponisten aus aller Welt ins WDR-Studio ein, sendete deren Kompositionen im Musikalischen Nachtprogramm, gab ihnen dort Gelegenheit, ihre theoretischen Konzeptionen ausführlich darzustellen, und publizierte viele dieser teils nützlichen, teils notwendigen Kommentare anschließend in der Schriftenfolge „die reihe“.
Als Kompositionsstudent lebte man damals, zu Beginn der sechziger Jahre, in Köln wie an allen anderen deutschen Musikhochschulen gewissermaßen in einer musikalischen Welt der vortechnifizierten Art: Zwar bot Gottfried Michael Koenig, damals ständiger Mitarbeiter im WDR-Studio und dort weitgehend mit rein technischer Arbeit beschäftigt, sowohl eine praktische „Einführung in die elektronische Musik“ als auch Analyse-Stunden über die sich damals bereits in Auflösung befindliche serielle Kompositionstechnik an – das war allerdings angesichts des hohen Novitätsgrades der elektronischen Kompositions- und Realisationsmethoden für die damals Studierenden Zwanzigjährigen nur eine Andeutung von pädagogischer Information; außerdem ging Koenig bereits 1964 an das Institut für Sonologie der Universität Utrecht. Daneben existierte im Hochschulgebäude an der Dagoberstraße (das unmittelbar nach dem Krieg als provisorisches NWDR-Funkhaus gedient hatte) ein zurückgelassenes, vielleicht „vergessenes“ Nachrichtenstudio, dessen technische fünfziger-Jahre-Einrichtungen noch einigermaßen funktionsfähig waren und stundenweise von animierten Jungkomponisten zum „basteln“ genutzt wurden.
Diese Situation änderte sich grundsätzlich, als zu Beginn des Jahres 1965 der damalige Direktor der Kölner Musikhochschule, Prof. Heinz Schröter, die Einrichtung eines Studios für elektronische Musik ankündigte und die Berufung Herbert Eimerts zum Leiter des neuen Instituts bekanntgab. Damit fand die elektronische Musik zum erstenmal Eingang in den Musikhochschulbereich, und zwar nicht als Randgebiet oder als wahlfreies Zusatzstudium, sondern als selbständige Disziplin Elektronische Komposition. Diese Pioniertat war hoch zu bewerten angesichts der Tatsache, dass die Musikhochschulen – jedenfalls die in Europa – bis dahin so gut wie gar nicht an der Entwicklung der elektronischen Musik teilgenommen hatten, und zwar nicht nur, weil ihnen die in Funkhäusern selbstverständliche technische Ausrüstung weitgehend fehlte, sondern darüber hinaus wohl auch der Mut und die Entschlossenheit, das neue Medium in das pädagogische Angebot aufzunehmen. Jahrelang verfügte die Kölner Hochschule denn auch als einziges deutsches Musikinstitut über ein voll funktionsfähiges, technisch professionell ausgerüstetes Studio, das dem Standard eines mittleren Rundfunkstudios entsprach und von einem festangestellten Techniker bedient wurde. Genau das war Eimerts Bedingung für seine Berufung zum Professor für Elektronische Komposition gewesen, und diese von Anfang an gewährleistete Professionalität im Bereich der Technik, ihrer Bedienung und Wartung, sowie die eigenständige und unabhängige pädagogische Konzeption, die von vorn herein keine Unterrichtsorganisation in Lehrgangsform oder gar kursähnlichen pädagogischen Massenbetrieb zuließ, sondern grundsätzlich auf individueller Arbeit beruhte, führten rasch zu einer starken Frequentierung des neuen Studiengangs durch junge Komponisten.
Von Anfang an dabei, erst als Studierender, dann als Assistent Eimerts und schließlich, seit 1972, als sein Nachfolger in der Leitung des Studios war der Autor dieser Zeilen. Ich hatte bis dahin ein recht konventionelles Schulmusik-Studium absolviert, darüber hinaus aber das Glück gehabt, in der Kompositionsklasse von Prof. Rudolf Petzold nicht nur profundes kompositorisches Handwerk zu erlernen, sondern – weit darüber hinausreichend – von der Fähigkeit dieses Hochschullehrers zu profitieren, kaum bewusste, gleichsam schlummernde Begabungen und Neigungen seiner Studierenden offenzulegen: Solcherart zielstrebige Förderung von vermutetem individuellen Talent führte mich direkt in die neue Kompositionsklasse Herbert Eimerts – zusammen mit sieben weiteren Interessenten aus anderen Hochschulklassen. Natürlich pflegte jeder von uns sein eigenes Eimert-Bild: Den einflussreichen Förderer, mächtigen Mentor, internationalen Kontaktierer, bedeutenden Theoretiker, begnadeten Polemiker, Scharfzüngigen Intellektuellen, sanften Musikplauderer, originellen Kritiker, dogmatischen Serialisten, strengen Strukturalisten, kurz angebundenen Ratgeber, ausdauernden Feuilleton-Leser... – all das war er auch. Vor allem aber empfanden wir Eimerts Berufung zum Professor für Elektronische Komposition als eine Art historischen Glücksfall – spätestens, als sich bald herausstellte, dass er an der Hochschule keine dogmatisch-serielle Kompositionsmethode predigte, sich auch niemals als „chef d'ecole“ gebärdete, uns vielmehr alle Freiheiten eines Kompositionsstudiums erleben ließ und sogar ständig bereit war, „die Kabinettsfrage zu stellen“ (einer seiner hochschulinternen Lieblingsausdrücke), wenn Hochschulleitung oder -verwaltung den Investitionsanträgen und Autonomieansprüchen „seines“ elektronischen Studios nicht nachkommen Wollten.
War ich schon (natürlich höchst angenehm und sehr geschmeichelt) überrascht, als Eimert mich der Hochschulleitung gegenüber zwei Jahre nach der Studioeröffnung als seinen Assistenten vorschlug, so kann ich mein damaliges Hochgefühl heute nur schwer ausdrücken, als er mir vorschlug, gemeinsam mit ihm „in gleichberechtigter Zusammenarbeit“ das Lexikon der elektronischen Musik zu schreiben. Während der zweijährigen Arbeit an diesem Buch, in der von Gleichberechtigung nun wirklich nur in sehr euphemistischem Sinn die Rede sein konnte, habe ich den am höchsten gebildeten, verständnisvollsten, fairsten und nachsichtigsten, aber auch fordernsten Menschen meines beruflichen Werdegangs kennengelernt – und den besten Lehrer. Herbert Eimert starb im Dezember 1972, während der Arbeit an diesem Buch, 75-jährig, kurz vor der endgültigen Fertigstellung des Manuskripts.
Hans Ulrich Humpert
Prof. Hans Ulrich Humpert studierte ab 1961 an der Hochschule für Musik Köln, seit 1965 bei Herbert Eimert. 1972 übernahm Humpert die Leitung des Elektronischen Studios.