Wall of Fame

Portraits

HERMANN SCHROEDER
26. März 1904 – 7. Oktober 1984
Komponist

Hermann Schroeder

Hermann Schroeder lehrte mit Unterbrechungen seit 1930 fast 50 Jahre lang an der Hochschule für Musik Köln. Er war ein Meister seines Faches, ein vollendeter Beherrscher seines Handwerks, ein Großer seiner Zunft. Zunächst scheint es so, als sollte die Musik nicht den alleinigen Mittelpunkt seines Wirkens ausmachen. Am 26. März 1904 in Bernkastel/Mosel geboren, führt ihn sein Weg nach dem Abitur 1923 in Trier nach Innsbruck zum Theologiestudium. Ausschlaggebend hierfür mag die Überlegung gewesen sein, nur über die Ausbildung zum katholischen Volltheologen den Beruf eines Domkapellmeisters erreichen zu können. 1926 bricht er das Theologiestudium jäh ab, geht nach Köln, versäumt den Termin der Aufnahmeprüfung und wird von Walter Braunfels dennoch aufgenommen. Eine ungewöhnliche Musikerkarriere nimmt ihren Lauf. In der Chronik der Hochschule taucht sein Name Zum ersten Male im Jahresbericht 1926/27 auf. Als Nummer 121 von 388 Studierenden figuriert der Student unter Hauptfach „Kirchenmusik“, später dann unter Hauptfach „Schulmusik“. Seine Lehrer sind in der Folgezeit bis 1930: Hermann Abendroth (Dirigieren), Hans Bachem (Orgel), Walter Braunfels und Heinrich Lemacher (Komposition), Dominikus Johner (Liturgie und Choral), Wilhelm Kurthen (Klassische Vokalpolyphonie und Musikgeschichte), Edmund Joseph Müller (Schulmusik), Julia Menz (Klavier und Cembalo). Seinen ersten Soloauftritt hat er als Organist am 14. Juni 1929 im Gürzenich unter Richard Trunk. Im Jahre 1930 kann ihm dann Heinrich Lemacher „ein glänzend bestandenes Schulmusikexamen“ bescheinigen. Parallel mit der sich anschließenden Assessorenzeit von 1932 bis 1938, die er an der Königin-Luise-Schule bei E.J. Müller absolviert, geht eine Chorleiterpraxis in Duisburg und das Konzertieren auf der großen Orgel des Reichssenders Köln einher. 1930 findet sich sein Name schon unter den Dozenten für Theorie der Rheinischen Musikschule. Im Hochschulbericht 1932/33 ist er bereits Theorielehrer in den Instituten der Kirchenmusik und Schulmusik. Im Gefolge der nationalsozialistischen Machtergreifung flieht er aus Köln, um in Trier die Domorganistenstelle anzutreten. Diesen Posten hat er vom 1. Oktober 1938 bis zu seiner Einberufung zum Militärdienst 1941 inne. In diese Zeit fällt auch die Gründung der Musikschule Trier durch Schroeder.

Als aber am 9. Mai 1946 die Hochschule in Köln mit dem Sommersemester im Palais Oppenheim ihren Hochschulbetrieb, der in den letzten Kriegsjahren fast zum Erliegen gekommen war, wieder aufnimmt, ist Schroeder wieder mit von der Partie. 1948 wird er hier ordentlicher Professor. Ein Lektorat für Musiktheorie an der Universität Bonn hat er von 1946 bis 1973 inne, ein weiteres an der Universität Köln von 1956 bis 1961. (Für kurze Zeit ist er auch Leiter des Kölner Männer-Gesangvereins.)

1958 bis 1961 ist er stellvertretender Direktor der Hochschule (Heinz Schröter ist als Nachfolger Hans Mersmanns im Direktorenamt). Nach seiner schweren Erkrankung im Jahre 1961, die die Aufgabe der Lektorentätigkeit in Köln, die Reduzierung derselben in Bonn, die Aufgabe des stellvertretenden Direktorates, vor allem aber den Verlust der Leitung des Bach-Vereins zur Folge hat (diesen Schlag hat Schroeder eigentlich nie ganz verwunden), gründet er mit ehemaligen Mitgliedern des Bach-Vereins den Rheinischen Kammerchor, mit dem er in der Folgezeit jährlich zweimal geistlich konzertiert. Die Unterrichtstätigkeit an der Hochschule nimmt er 1962 wieder voll auf.

Das pädagogische Anliegen ist Schroeder ureigen. Nicht nur die vier musiktheoretischen-pädagogischen Schriften: Kontrapunkt (1950), Generalbassübungen (1954), Harmonielehre (1958) und Formenlehre (1962), die er mit Heinrich Lemacher herausgibt und die in kurzer Zeit hohe Auflagen erreichen, bezeugen dies. Sein pädagogisches Engagement währt bis ins hohe Alter: Nach Beendigung seines Lehrauftrages in Köln 1981 (nach 51-jähriger Lehrtätigkeit) nimmt er sogleich einen Lehrauftrag an der Kirchenmusikschule Regensburg an und reist in den nächsten Jahren wöchentlich von Köln nach Regensburg, in die Stadt, der seine ganze Liebe galt – auch und vor allem wegen der Regensburger Domspatzen unter Georg Ratzinger, für die er viel komponierte. Auch als Referent und Redner war er bis zu seinem Tode unermüdlich tätig; in Bad Orb, wo er anlässlich einer kirchenmusikalischen Tagung des Bistums Fulda über moderne Kirchenmusik referieren sollte, ereilte ihn am 7. Oktober 1984 der Tod.

Im Laufe seiner mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Lehrtätigkeit hat er ganze Generationen von Komponisten, Kirchenmusikern, Schulmusikern, Chorleitern und Musiklehrern ausgebildet. Er saß in allen Gremien und Prüfungsausschüssen der Kirchen- und Schulmusik, der Chorerziehung und des Dirigierens, in Orgel Solofach ebenso wie in Komposition Hauptfach, wo er eine eigene Klasse leitete. Seine unanfechtbare Kompetenz, seine stupende Stilkenntnis, seine souveräne Handhabung des Handwerklichen öffneten ihm alle Tore. (Wer ihn selbst erlebte, wie er eine sechsstimmige Motette von Palestrina, notiert in alten Schlüsseln, vom Blatt transponierte; wie er eine vierstimmige Fuge im Bach-Stil improvisierte; wie er komplizierteste harmonische Strukturen hörend realisierte, weiß, wovon er redet.)

Kompositorisch sieht er sich als Vertreter der sogenannten „Kölner Schule“ (zusammen mit Heinrich Lemacher, Kaspar Roeseling u.a.) in der tonalen Tradition Hindemiths etwa. Sein Werk, dessen Verzeichnis sich auf über 500 Titel beläuft, hat drei Schwerpunkte: die Volks-, Kammer- und Kirchenmusik. Im Bereich der Volksmusik schöpft er aus den Quellen des Volksliedes aller Jahrhunderte, ist er Bearbeiter, nicht Neuschöpfer. Im kammermusikalischen Bereich umfasst sein Werk alle Gattungen; häufig sind es gerade seine Musikerkollegen, die seine Werke uraufführten und denen er sie widmet. Hier nenne ich nur stellvertretend für viele mehr: Josef Zimmermann und Michael Schneider (Orgel), Tiny Wirtz und Michael Braunfels (Klavier), Franzjosef Maier (Violine), Siegfried Palm (Violoncello), Paul Breuer (Kontrabaß), Franz Klein (Klarinette).

Eine ganz besondere Bedeutung kommt Schroeder im Bereich der „musica sacra“ zu. „Geheiligt“ wird seine Musik nicht so sehr durch den „geistlichen“ Text, sondern durch ihren liturgischen Kontext. Alle geistliche Musik Schroeders ist für die Liturgie bestimmt. Er ist z.B. der Einzige, der es unternahm, die deutschen Prosatexte der Lektionen (Episteln, Evangelien, Passionen) in ein adäquates musikalisches Gewand zu kleiden und steht damit in schroffem Gegensatz zu den Verfechtern einer sogenannten „Deutschen Gregorianik“. Hier reichen die Quellen und Wurzeln bis zu Heinrich Schütz hinab.

Für sein künstlerisch-kompositorisches Werk wird er im Laufe seines Lebens hoch geehrt: 1942 erhält er den Kunstpreis der Stadt Dresden, 1952 den Robert-Schumann-Preis der Stadt Düsseldorf, 1956 den Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz. Komtur des Päpstlichen Gregorius-Ordens wird er 1961, Träger der Lassus-Medaille des Allgemeinen Cäcilien-Verbandes 1970. Den Dr. h.c. verleiht ihm die Universität Bonn auf Vorschlag des damaligen Ordinarius Günther Massenkeil 1974 (erst als Drittem nach dem Schweizer Georg Nägeli 1833 und dem Kölner August von Othegraven 1925 in der damals schon über 150-jährigen Geschichte der Bonner Philosophischen Fakultät).

Im 19. Oktober 1984 nahmen Bistum und Kirche, Stadt und Musikhochschule von einem ihrer Großen im Hohen Dom Abschied. Kardinal Höffner zelebrierte das Requiem, die Traueransprache hielt Johannes Overath. Die Orgel spielte Clemens Ganz, ein Vokal-Ensemble unter Johannes Hömberg sang Bach und Schroeders Missa Gregoriana, eine Choralschola unter Willibrord Heckenbach sang das Proprium. Es war ein würdiger Abschied, der Bedeutung des Toten wahrlich angemessen. –

An seiner Wirkungsstätte, der Kölner Musikhochschule, wird am 28. Oktober 1995 die Hermann-Schroeder-Gesellschaft e.V. gegründet, die sich des verpflichtenden Vermächtnisses und des kompositorischen Erbes ihres Namensgebers in Jahrestagungen, Konzerten, Wettbewerben und Ausstellungen an den Stätten seines künstlerisch-pädagogischen Wirkens mit großem Erfolg und unter zunehmendem öffentlichen Interesse annimmt. 

Raimund Keusen